Ausgelesen: Sigrid Markl - Chérubin - dtv, 2002


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Abgeschickt von Martine am 07 Mai, 2002 um 18:55:42:

Sigrid Markl - Cherubin - dtv, 2002
Von der Schneckenfresserin ausgelesen und empfohlen!

So unterhaltsame 277 Seiten hatte ich schon eine ganze Weile nicht mehr! Das Buch ist ein "historischer Roman mit einer Einschränkung. Es kommen keine historischen Persönlichkeiten vor, es paßt eher der Begriff des Sittenromans über das 18te Jahrhundert.
Und es ist eine recht ungewöhnliche Geschichte. Eine "Hosenrolle" sozusagen.

Chérubin, Mitglied einer ärmlichen fahrenden Theatergruppe gerät eines Abends an einen Betrunkenen. Chérubin hat es auf dessen Geldbörse abgesehen und geht mit ihm vor die Türe. Die Situation eskaliert und der Betrunkene endet mit eingeschlagenem Schädel im Wasser und Chérubin kurz darauf im Hause zweier Herren, die sich freundlich um ihn kümmern. Dort erkennt eine Bedienstete in ihm den lange tot geglaubten Enkelsohn des alten Herrn von Eberstein.

Chérubin wird aufgenommen wie der biblische verlorene Sohn, erhält einen Stand, einen Familiennamen, eine Erziehung und recht bald ein fürstliches Erbe. In der Provinzstadt ist Chérubin bald der heißbegehrteste Junggeselle. Alles könnte so schön sein, - wäre da nicht eine Kleinigkeit: Chérubin ist eine Frau.

Mit ungewöhlich viel Witz und einer gehörigen Portion Sarkasmus schildert Chérubin wie sie zum Jüngling wird, sich in ihre neue Rolle findet und welche Schwierigkeiten sie meistern muß. Die Zeugenaussagen einer Gerichtsverhandlung kontrastieren die Ich-Erzählung und machen nochmals deutlich, welche Unverfrorenheit diese Abenteurerin an den Tag legt, um endlich ihren Teil an Leben der Reichen und Schönen zu erhalten.
Aus dem weiblichen Habenichts aus der Gosse wird ein adeliger Herr,- aber Chérubin weiß sehr wohl auf welch dünnem Eis sie sich bewegt und wie schwierig ihre Rolle ist. Und zudem kommen ihr doch noch die eigenen Gefühle ins Gehege.
Sigrid Markls Buch ist wunderbar, flott geschrieben, es ist guter Stil, der nicht entgleist, sie hat die Geschichte sowohl im Ablauf als auch sprachlich im Griff und es macht Spaß, es zu lesen. Wie bei Dunnett, gibt es Momente an denen man laut loslacht. Ihre Heldin ist ganz und gar kein Gutmensch, sondern ein wirklicher Charakter, die mit einer gewissen Bissigkeit und einer gehörigen Portion Sarkasmus für die sie umlauernde Provinzgesellschaft sich zuallerserst um sich selbst kümmert. Und dabei durchaus einen sehr "männlichen" Egoismus an den Tag legt.

"Und weiter?
Nichts weiter.
Wir werden ziemlich viel lügen.
Wir werden ziemlich gut leben.

(...)
Buch zu und Ende.

Dieses Buch hat keine Moral.
Wenn es eine hätte, wäre darin keine Platz für mich."

Für Dunnettleser ist das ein Genuß.
________________________
Sigrid Markl: Cherubin
dtv premium, 2002
Euro 14,50
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Martine


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