Re: Nein, DD gehört definitiv nicht ins Liebesromangenre, aber ...


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Abgeschickt von Heike am 11 August, 2006 um 12:12:02:

Antwort auf: Nein, DD gehört definitiv nicht ins Liebesromangenre, aber ... von Sandra Schwab am 10 August, 2006 um 14:38:50:

Hallo zusammen,

Sandra schrieb:
: ein wenig unglücklich ist die Marketing-Strategie von Klett-Cotta, NICCOLO RISING als Lieberoman anzupreisen, schon gewählt, allerdings dürfte ein Blick auf das Buch selbst schon genügen, um die Leser wissen zu lassen, daß es sich eben nicht um seinen solchen handelt. Immerhin sprengen Dunnetts Bücher das übliche 100 000 Wort Format deutlich.

: Ein wenig traurig finde ich es aber schon, daß dies hier zum Anlaß genommen wird, ein wenig genre bashing zu betreiben -- besonders wenn gleichzeitig auf dem Romantischen Bücherforum für Dunnett und für dieses Forum geworben wird. Noch trauriger ist dies allerdings, wenn man bedenkt, daß es gerade unter den Liebesromanleserinnen und -autorinnen sehr viele Dunnett-Begeisterte gibt: so läßt sich z.B. auf AAR eine Rezension von CHECKMATE finden, und Julia Ross hat einen ihrer Romane DD gewidmet...


Ich sehe nicht recht, was Kritik an der Marketingstrategie von Klett-Cotta mit genre bashing zu tun hat. Aber vielleicht sollten wir uns zuerst mal über die Definitionen von Liebesroman einig werden.

Ein Liebesroman ist ja in erster Linie ein Roman, in dem die Liebe das zentrale Thema ist. Entsprechende Werke gab’s schon in der Antike, im Mittelalter und natürlich auch in der Moderne und einige davon sind literarische Meisterwerke (z.B. Austens Pride&Prejudice) oder zumindest Klassiker - ‚Wuthering Heights’ und ’Jane Eyre’ fallen mir da auf Anhieb ein und man mag zwar über den literarischen Wert von ‚Gone with the Wind’ streiten, aber als Klassiker gilt er allemal. Diese Form des Liebesromans kann durchaus auch ohne Happy End auskommen.
Natürlich gibt’s Mischformen, und man kann sich unabhängig von jeder sonstigen Wertung darüber streiten, ob Gabaldons Serie nun mehr zum historischen oder zum Liebesroman gehört. Der word count ist aber für die Einordnung völlig unerheblich.

Du definierst Liebesroman sehr viel enger und meinst eigentlich nur eine Unterform des Genres; das, was die entsprechende Definition bei wikipedia so schön als ‚ein Genre der Trivialliteratur’ bezeichnet. Ergo die Art von Büchern, die im englischen Sprachraum unter dem Label ‚romance’ laufen und die nach festen Vorgaben der entsprechenden Verlage/Reihen erstellt werden. Unter diesem Label findet man, je nach Reihe, von der Heyer-Kopie bis zum Softporno alles, was der jeweilige Leser begehrt – das Happy End ist jedoch immer garantiert.


Dunnett passt mit ihren Büchern in keine der beiden Kategorien, weder zum klassischen Liebesroman noch zur romance nach amerikanischem Stil.
Nehmen wir zum Beispiel ihre Serien. In keiner von beiden, in House of Niccolo noch viel weniger als in den Lymond Chronicles, spielt eine Liebesbeziehung zwischen dem Protagonisten und einer bestimmten Frau die tragende Rolle. Es gibt Bände, in denen eine derartige Beziehung in den Vordergrund tritt (SoG bei HN möglicherweise, oder Checkmate bei den LC), aber es ist bei HN in der Gesamtstruktur der Erzählung nur ein Strang von vielen, und nicht einmal der wichtigste – die Liebe ist also nie das zentrale Thema. In den LC gibt es witzigerweise eine (Liebes-)beziehung zwischen dem Helden und einer Frau, die von Anfang bis Ende der Serie dieselbe entscheidend prägt und auch seine ‚Hauptbeziehung’ ist – aber die Dame ist nicht seine Geliebte oder Ehefrau, sondern - heiliger Ödipus! - seine Mutter!

Interessanterweise hat Dunnett eines ihrer Bücher, das zu keiner Serie gehört, als ‚historical romance’ beschrieben. Sie hatte damit aber eher die grosse Tradition der europäischen romantischen Literatur a la Scott und Dumas im Sinn als den engen neuzeitlichen Genrebegriff. Denn in diesem Buch spielt die Liebe zwischen dem Helden (der am Ende übrigens mausetot ist, daher auch kein Happy End) und seiner Ehefrau zwar eine grosse Rolle, aber die anderen Aspekte der Liebe (freundschaftliche Liebe, Liebe zu Eltern) stehen gleichberechtigt daneben und die anderen, lieb-losen Erzählstränge sind, wie auch im HN, bedeutender und wichtiger für den Roman.

Die Begeisterung von Liebesromanautorinnen (Ross, Beverly, Williamson und noch ein halbes Dutzend andere) für Dunnett, die Du oben erwähnst, beschränkt sich auf die LC, nicht auf das House of Niccolo. Dies ist leicht zu erklären, da sich die LC am Ideal der o.g. europäischen romantischen Literatur orientieren und auf dem obersten Level leicht als romantische Abenteuergeschichte gelesen werden können (wenn da nicht die Sache mit der Mutter wäre ...). HN jedoch folgt mehr der Tradition des klassischen Bildungsromans.

Und damit komme ich wieder zu meiner ursprünglichen Kritik. Der potentielle Leser, der sich auf ‚Niccolos Aufstieg’ stürzt, weil er aufgrund der Werbung einen klassischen Liebesroman erwartet, wird enttäuscht sein. Vielleicht kann er sich aber damit trösten, dass er zumindest wieder mal einen guten historischen Roman erwischt hat.

Der Leser jedoch, der wie Du ‚Liebesroman’ als ‚romance’ definiert, wird erst recht enttäuscht sein. Nicht nur, dass die Liebe kein zentrales Thema ist, auch die anderen Vorgaben dieses Teilgenres werden nicht erfüllt. Ich denke, ein Grund, warum Menschen romances lesen, ist deren Berechenbarkeit. Wenn ich mir ein solches Buch von Verlag X, Reihe Y kaufe, weiss ich was drin ist. Ich weiss, dass, wie sehr die Heldin auch getrietzt wird, am Ende alles in Butter ist. Ich kann nach meinen Vorlieben entscheiden, ob ich eine regency romance a la Heyer, eine aga saga, ein Werk, in dem es ein bisschen deftiger zugeht oder auch eine zeitgenössische Story lesen möchte. Ich weiss, woran ich bin.

Bei Dunnett weiss ich das nicht. Dunnett ist nicht berechenbar.

Deshalb halte ich die Werbung mit dem Begriff ‚Liebesroman’ für absolut verfehlt. Zum einen führt es diejenigen irre, die einen klassischen Liebesroman bzw. eine romance erwarten. Wenn jemand das Buch unter dieser falschen Prämisse kauft und es dann trotzdem toll findet, ist das selbstverständlich eine feine Sache, und ich wünsche mir natürlich, dass jeder, aus welcher Ecke er auch kommt, an dem Buch seine Freude hat.

Zum anderen schreckt es diejenigen ab, die bei dem Wort ‚Liebesroman’ das kalte Grausen überkommt. Wie schon anderweitig in diesem Thread gesagt wurde, gibt es in diesem Genre (ob jetzt klassischer LR oder romance) jede Menge Schrott – genau wie bei historischen Romanen, mit denen man mittlerweile die Strassen pflastern kann und die oft auch von zweifelhafter Qualität sind. Es gibt sicherlich auch Bücher, die gut geschrieben sind – aber die kann man wie die Stecknadel im Heuhaufen suchen.

Mit dem verfehlten Marketing schafft es Klett-Cotta also, zwei potentielle Lesergruppen zu vergraulen: diejenigen, die Liebesromane - gleich welchen Genres - mögen und daher eventuell von ‚Niccolos Aufstieg’ enttäuscht sein werden, und diejenigen, die Liebesromane aus welchen Gründen auch immer nicht mögen und deshalb von Anfang an einen weiten Bogen um die Bücher machen bzw. sie, wie die bereits genannten Buchhändler, nicht an die Kunden weiterempfehlen.

Viele Grüsse

Heike





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