"I had great Dunnett days!"

Ein Bericht über das Dorothy Dunnett Gathering Edinburgh, 21. bis 24. Juli 2000
von A. Däuwel-Bernd

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Vom 21. bis 24. Juli 2000 fand in der Heriot-Watt-University in Edinburgh das Dorothy Dunnett Gathering statt, ein Treffen von Lesern und Fans dieser schottischen Autorin. Mein Bericht gibt einen kleinen Einblick über die in Deutschland kaum bekannte Schriftstellerin.

Schneeweiße Dauerwellenlöckchen, Stupsnase, sympathisches Lächeln - so kam sie auf mich zu am Abend des 21. Juli., die 78-jährige alte Dame mit der lebhaften Fantasie, der immensen Erzählkraft und detailreichen historischen Hintergrundwissen. Ein Händedruck, ein bisschen Smalltalk - ich war in den höchsten Gefilden der Seeligkeit angelangt. Endlich mit Dorothy Dunnett von Angesicht zu Angesicht. Sie ist meine heimliche Lieblingsschriftstellerin - immer gut für durchlesene Nächte, Das Fantreffen, an dem ich vor wenigen Tagen teilgenommen habe, waren wirklich "great Dunnett days" mit vielen Hintergrundinformationen zu ihren Werken, mit Vorträgen, Seminaren, Spaß und vor allem auch Kontakten zu anderen Lesern dieser (kleinen) großen Frau.

Andrea vor dem Smaillholm Tower
Dorothy Dunnetts Werke
Vor vierzig Jahren begann Dorothy Dunnett (geb. 1925 in Schottland, Portraitmalerin und Ehefrau eines Zeitungsherausgebers) ihr Schriftstellerinnen-Leben: zunächst entstand eine sechsbändige Serie, die Lymond-Saga, welche einen Einblick in die wechselhafte Geschichte Schottlands (und Europas) im 16. Jahrhundert gibt. In den neunziger Jahren fing sie eine weitere Serie, die Niccolo-Saga, zu schreiben an, welche das Leben der Kaufleute im 15. Jahrhundert thematisiert. Beide Serien sind Abenteuerroman und detailreiche historische Fiction zugleich. Dazwischen entstanden Kriminalromane, die in der heutigen Zeit spielen und noch ein historischer Roman um das Motiv des Macbeth.
Nun, historische Romane gibt es wie Sand am Meer. Was Dorothy Dunnett so einzigartig macht, ist ihr immenser Wortschatz, ihr riesiges historisches Hintergrundwissen, ihr Stil, ihr Witz und ihre Ironie, ihre Fähigkeiten Spannung zu entwickeln: Diese Aspekte erschaffen eine Welt, in die Leser/innen tage- und nächtelang eintauchen können - oder müssen, denn ihre Werke sind nicht leicht und nicht schnell zu lesen. Es kommen eine Fülle von Schauplätzen und Personen darin vor (das Personenverzeichnis in ihrem letzten Werk umfasst über 300 Namen). Reale historische Personen werden mit fiktiven Charakteren verwoben, Handlungsstränge werden meisterhaft entwickelt und fortgeführt. Es ist eine eigene Dunnett-Welt, die sie erschaffen hat.

Dorothy Dunnetts Leser/innen
Dunnetts Romane fanden Leser ab 1961 in Amerika, später auch in Großbritannien. Einige wenige Übersetzungen gibt es auch in andere Sprachen. Während der Rezeptionsprozess damals isoliert und individuell stattfand, hat sich das Umfeld für Schriftstellerin und Leser in den letzten Jahren durch das Internet dramatisch geändert.
Jedburgh Abbey
Die Dunnett-Welt erhält ihre Impulse heutzutage virtuell durch Foren, wo Fans über den Fortgang der Handlung spekulieren (und dann doch feststellen müssen, dass Dorothy Dunnett ihnen immer eine Nasenlänge voraus bleibt), die Charaktere diskutieren, Meinungen ergründen, Informationen austauschen und eigene Recherchen weiterverbreiten. Ein Print-Vorläufer dieser Foren waren die heute noch existierenden Vierteljahresschrift "Whispering Gallery" für Europa und "Marzipan & Kisses" für Amerika. Es gibt mindestens zwei Dunnett-Internetforen im anglo-amerikanischen Raum und sie tragen sehr viel dazu bei, dass die Autorin neue Leser gewinnt. Der virtuelle Austausch führt zu einem ganz neuen, spannenden Rezeptionsprozess.

Das Dunnett Gathering in Edinburgh
Die beeindruckendste und vorherrschendste Erfahrung dieser Tagung: Dorothy Dunnetts Charisma, ihre Lust daran, mit Lesern zu kommunizieren, die Wertschätzung, die sie ihnen entgegenbringt, ihre Freude daran, den Enthusiasmus und die Begeisterung anderer zu teilen, Interpretationen und Gedanken von Lesern aufzunehmen und zu diskutieren.

Außerdem die Aufgeschlossenheit aller Teilnehmer und fundierte und teilweise extrem lustige Vorträge und Seminare zu Aspekten aus den Büchern wie Musik, Witz und Ironie, historische Hintergründe, Wappenkunde, Pflanzen und Tiere, Landkarten u.v.m., vorgetragen von namhaften Historikern wie Elspeth Morrison, der amerikanischen Literaturwissenschaftlerin Judith Wilt, oder dem Direktor der Heraldischen Gesellschaft Schottlands, Charles Burnett. Gerade diese Aspekte sind es, die mich an Dunnetts Büchern so ansprechen. Historisch Interessierte finden eine Unmenge von Details in ihren Texten zu allen Bereichen des täglichen Lebens, zu Politik und zur Philosophie jener Epoche, die geprägt war vom Übergang des Mittelalters zur Neuzeit, von ihren neuen Ideen, Erfindungen, gesellschaftlichen und politischen Veränderungen.

Wieso liest eigentlich niemand in Deutschland Dorothy Dunnett?
Einige Romane von Dorothy Dunnett wurden ins Deutsche übersetzt. Für diese deutschen Übersetzungen gab es
St. Marys Loch, ein Dunnettschauplatz
in Edinburgh nur ein deftiges aber einhelliges Wort: "dreadful!" (= grässlich)

Deutsche Übersetzungen wirken langatmig, plump, sind gegenüber dem englischen Original gekürzt, lesen sich zäh und geben den Stil und den Witz der Autorin nicht adäquat wider.(Das ist eine WARNUNG)
Aber, weil Dunnett-Bücher Serien sind, und die Serien jeweils nach dem dritten Band in der deutschen Übersetzung abbrechen, bleibt fanatischen Lesern nur eines: Die englischen Originale zu lesen. Und ich kann dazu nur sagen: Es ist hart und ohne ein dickes Wörterbuch nicht zu schaffen. Es gibt tatsächlich in Deutschland Unentwegte, die ins kalte englische Sprachgewässer tauchen und (weil diese deutschen Dunnett-Leser/innen sich gegenseitig versichern wollen, dass sie ob dieser großen Anstrengung doch nicht gänzlich plemplem sind) inzwischen eine Möglichkeit gefunden haben, sich im Internet auszutauschen. Inzwischen gibt es auch eine deutsche Internet-Seite. Schaut doch mal rein! Und nun lautet die Preisfrage am Schluss: "Wer hat diese Internet-Seite gemacht?"

Noch zwei kleine Lesepröbchen gefällig? Hier zwei Buchanfänge:

"On the day that his grannie was killed by the English, Sir William Scott the Younger of Buccleuch was at Melrose Abbey, marrying his aunt."
(aus: The Disorderly Knights)

"When the year one thousand came, Thorkel Amundason was five years old, and hardly noticed how frightened everyone was"
(aus: King Hereafter)

© Andrea Däuwel-Bernd/9.8.00


 
 

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