Nun auch in lang;-)


[ Antworten ] [ Dunnettie-Forum Archiv 22 ] [ Dunnettie-Forum ]

Abgeschickt von Martine am 28 Maerz, 2005 um 20:54:22:

Antwort auf: Kurzdiagnose von Martine am 28 Maerz, 2005 um 16:17:04:

Hi Kathrin,

Nie und nimmer hab ich die Seite als ein Heiligenbildchen verstanden, und grade bei einem so schönen langen Beitrag juckt es eine doch richtig in den Fingern kontrovers drauf los zu diskutieren....

Also hab ich den Osterputz gestrichen, meinen Kram fertig programmiert und sitze nun doch am Compi.

(...) Die Dunnett (...)scheut sich dabei nicht, gleich auf den ersten Seiten ein halbes Dutzend Charaktere auftreten zu lassen, die auf dem Vorblatt alle als Hauptpersonen betitelt werden.

Richtig, sind sie auch. Wenn das gesamte Personal dastehen würde, würde man sich durch 20 Seiten lesen.

Ich kenne ja die Schwierigkeit mancher Leser damit, daß am Anfang so viele Personen eingeführt werden, man kann sich gar nicht alle merken, und so fort. Aber das ist bitte schön ein Buch, in dem es eben viele Personen gibt. Die man sich früher oder später auch merkt. Als Hilfestellung hat man ja immer noch das Verzeichnis. Dafür ist es da.

Das aber als Manko am Buch zu sehen? Hm, kann ich nicht nachvollziehen.
Außer man mag Kammerspiele.


(...) In seiner adeligen Blondheit und seiner leichten, geschliffenen Rede ebenso wie in seiner Verachtung und Arroganz seiner Umgebung gegenüber und seiner offenbar natürlichen Autorität, seinem Charisma, erinnert Lymond mich übrigens stark an Lord Peter, den detektivischen Helden in den Geschichten von Dorothy Sayers. Kann es sein, daß die Dunnett da ein bißchen abgekupfert hat?

Nun, daß Lord Peter Wimsey und Lymond seelenverwandt sind, das stimmt. Abgekupfert würde ich es nicht nennen, aber zitiert. Die Geschichten um Lord Peter, sind mir zwar ebenfalls als intelligent und witzig in Erinnerung, aber die Charaktere längst nicht so tief ausgearbeitet.

Und Lymond hat keinen Bariton. Seine Stimmlage ist, wie alle Helden der Frühen Neuzeit, Countertenor. Also für unsere Männlichkeitsvorstellungen zu hell und zu hoch.

(...) auch Lord Peter hat einen fürchterlichen, lahmen, aufgeblasenen Bruder auf dem Familiensitz hocken, der nichts außer spießig ist,...

Richard so verkannt?? Oh je, drauf reingefallen, beim ersten Gang?

(...) und ebenfalls eine abgebrühte Mutter, die bei sich für alle ihre Sprößlinge Verständnis aufbringt.

Oh weh, laß sie bloß nix weiterlesen.
(
...) Francis entbehrt trotz seines schmählichen Tuns nicht der Anziehungskraft. Warum nur hofft man als Leser ziemlich bald schon, daß Monsieur nicht vielleicht doch heimlich FÜR Schottland arbeiten...?

No comment

(...) Und rätselt, welche Frau er wohl schließlich abkriegen wird: die blinde Verschwörerin am Exilhof oder das irische Neuweib des Bruders?

Laß sie es nicht zum Ende lesen, sie schlachtet dich!

(...) Du siehst, die Geschichte hat mich schon ziemlich mitgenommen!

Schon jetzt? GrinZZ!

(...) Was den Inhalt anbetrifft, so hat die Dunnett vergnüglich viele Register zu ziehen in ihrer Macht, und sie schneidet sie so rasant hintereinander, daß mir nach diesem Drittelbuch Leseprobe ordentlich der Kopf brummt – selbst wenn die Autorin mir in der Chronologie zu helfen versucht, indem sie Wochentagsangaben mit Datum nennt
(obwohl etwas irritierend in einem Roman, der vor vier Jahrhunderten spielt)

Sorry, als Historikerin versichere ich, es gab Wochentage, man kann sie sogar exakt berechnen, und es gibt ein ganzes Buch mit Datierungstabellen für diverse nationale Kalender.

(...) und Rückblenden auf die große, die europäische Geschichte, dazwischenschaltet. Leider gehen diese Hilfen zwischen den vielen Einzelszenen, in denen bis zu vierzig Personen (die Teetafel bei der Baronwitwe im Prolog) gleichzeitig agieren, völlig unter.

Das ist eigentlich schade, denn es ist der Witz, die beiden Dinge gegeneinander zu stellen.

(...) Und manchmal tauchen überraschend völlig neue Personen auf, (...) um dann erstmal wieder in völliger Versenkung zu verschwinden (eine häßliche Erbin, die in besagter Szene fast ertrinkt, nur um dann in einem Burgbett wieder dem Vergessen des Lesers entgegenzuschlafen).

Also, die häßliche Erbin hat noch ein ausgiebiges Privatleben, an dem wir alle, zu unserer großen Freude teilnehmen dürfen. Grade Agnes ist so eine Figur, die einfach großartig eingeführt wird, mit ihren romantischen Schnulzenphantasien, und ihrer durchaus pragmatischen Art zu bekommen was sie will. Sie verschwindet auch nicht einfach wieder in der Versenkung, dem widerspreche ich, sie ist ab ihrer Einführung immer bei den Culters präsent. Kann es sein, daß da jemand Personen nicht richtig zuordnet? Oder schlicht etwas vergeßlich ist, was Namen betrifft?

(...) Also, bei aller Buntheit und bei allem Einfallsreichtum: manchmal überschlägt sich Mrs. Dunnett. Man muß doch auch mal an den Leser denken!

Aber sicher, an Leser wie mich. Was langweile ich mich doch sonst zu Tode!

(...) Denn stilistisch hat die Dame viel zu wahllos in die Kruschkiste gegriffen.
Warum reden schottische Edeldamen des 16. Jahrhunderts untereinander wie US-amerikanische Hausfrauen des 20. Jahrhunderts? War im Schottland des 16. Jahrhunderts schon das Leben der Lemminge naturwissenschaftlich-darwinistisch erforscht und Bildungswissen im Adelskanon?

Lemminge und ihr suizides Ableben sind schon im Mittelalter bekannt, Bildungswissen im Adel ist eine ganze Menge unterschiedlichen Zeugs. Hier haben wir Janet und Sybilla? Beide hochgebildet, Janet ist ein bekannte Alchimistin in ihrer Zeit, höchst belesen und Sybilla hat mehr zu bieten als es auf den ersten Blick aussieht.

(...) Überhaupt: warum, wenn der Inhalt schon im 16. Jahrhundert spielt, macht sich Mrs. Dunnett nicht die Mühe, wenigstens in Anklängen auch die Sprache jener Zeit zu kopieren?

Das ist einer meiner liebsten Streitpunkte:
Ich hasse es, wenn das gemacht wird. Niemand spricht heute wie die Leute im 16ten Jh.
Für diese war das 16te Jh Gegenwart und ihre Sprache modern. Heute ist das 20/21. Jh Gegenwart und unsere Sprache modern.
Ich weigere mich Bücher zu lesen, die versuchen Shakespeares Sprache nachzuäffen, aus einem falsch verstanden Bemühen nach Authentizität heraus. Ich lese, will ich solches lesen, im Original.
Ich wünsche mir von einem historischen Roman, daß er transferiert, nicht nachäfft.

(...) Wenn schon historisch, dann möchte ich bitte ein weitestgehend realistisches Bild der Zeit, und nicht ein Kuddelmuddel aus Alt und Neu – bei Dunnett schottische Geschichte im Slang der siebziger Jahre -, weil zwischendrin dem Autor die Lust an der Arbeit vergangen is

Das kann ich nur beantwoten, wenn dafür ein Beispiel gegeben wird.
Ich empfehle immer Alessandras Briefe, wenn mir einer mit solchen Argumenten kommt, daß die Leute anders und über andere Dinge gesprochen hätten. Es gab keien andern Themen als heute, Fußball und den Aktienkurs im IT-Bereich mal ausgenommen;-)9 Die Menschen sprachen über ganz alltägliche Dinge, über Politik, über ihre Hoffnungen und Träume und ob die Katze Junge bekommt.

Ich würde sehr wohl DD für sprachlich fähig halten für mich dies zu „transferieren“. Ihre sprachliche Leistung liegt für mich durchaus im Bilder finden, die ich verstehe und die mir diese Zeit näher bringen, als es jeder andere mit einem Schuß Historismus machen würde.
Scott und Stevenson haben ihre historischen Romane auch nicht in einer Sprache geschrieben die sie für 16tes Jh hileten, sondern in der des 19ten. Dass wir das als „historischer“ anerkennen, liegt an unerer eigenen Entfernung von dieser Zeit.

Tolstois "Krieg und Frieden" arbeitet auch mit einer hochmodernen Sprache seiner Gegenwart und nicht mit dem Slang des napoleonischen Militärs.

(...) Aber wie gesagt – vielleicht hat sich das im Fortgang der Chronik verbessert, weil sich Mrs. Dunnett besser an ihr Sujet gewöhnt hat.

Oder weil sich die Leserin darauf eingelassen hat?

(...) Formal: Ich lese eine Geschichte, gut, eine ereignisreiche Geschichte. Aber lese ich eine gutgeschriebene Geschichte?
Nein. Ich holpere fiebrig durch einen steinigen Text, in dem mir nirgendwo eine Ruhepause geboten wird.

Richtig, das Buch ist sehr temporeich, das mag für manche die es ruhiger mögen, ein Manko sein, aber hier wird Steinchen für Steinchen ein Fundament für weitere 5 Bücher gelegt.

(...) Schon auf den ersten Seiten wird mir fies ein Bein gestellt. (...)
Aber es muß so geschehen, daß ich auch spätestens nach dem ersten Absatz weiß, woran ich nun bin (zumindest in klassisch erzählten Geschichten, wie diese eine ist), und mich nicht erst mühsam durch weitere zehn Seiten lesen muß, bevor mir zum ersten Mal eine umfassendere Perspektive geboten wird.

Es gibt keine Zentralperspektive.
Und was hier vermißt wird, das ist für mich die Schönheit und die Krönung dieser Bücher: weg mit der auktorialen Erzählperspektive.

(...) Nicht alle Leser sind brave Klappentextleser! Außerdem wirkt so eine unerklärte Verwirrung am Beginn so, als ob die Autorin selber erst mit ihrer sperrigen Geschichte klarkommen und per Versuch und Irrtum im Prolog rausfinden müßte, an welchem Ende sie nun anfangen soll.

Ging euch das beim ersten Lesen so? Mir nicht. Ich hab es sofort gemocht, daß ich mir alles errätseln muß.

(...) Es fehlt einfach die höhere Perspektive, der Feldherrnhügel für den Leser, den er immer wieder erklimmen dürfen müßte, um den Überblick über das Gewusel zu bekommen – und damit erst richtig Spaß an den kleinen Szenen dazwischen!

Das ist das Konzept eines historischen Romans wie ich ihn verachte. Zutiefst verachte!
Geschichte als Erzählung mit Anfang, Mitte, Schluß.
Sorry, Geschichte ist keine Dauerwurst. Sie wird erlebt, nicht von oben her erzählt. Ich hasse historische Romane, die mir eine ganz bestimmte Metaerzählung aufdrängen und ich kotze dabei ab.

(...) Und noch besser – und mit mehr Begeisterung zu lesen – wären diese ihre Szenen, wenn Mrs. Dunnett nicht einfach Satz an Satz reihen und die darin enthaltenen Bilder wie einen Comic hintereinanderkleben würde. Wenn sie sich mehr Mühe gäbe, sie miteinander zu verbinden, würde der Leser nicht mit lauter einzelnen Bildern bombardiert, sondern es würde in seinem Kopf ein Film ablaufen.

24 Bilder die Minute machen einen Film.
Gerade das filmische/szenische Erzählen beherrscht sie wunderbar. Für mich läuft der Film, weil ich szenisch denke. Ich sehe in Queens‘ Play die Tafel an der Thady wie eine nasse Kröte sitzt, sehe das aristokratische Umfeld, sehe die Sache mit der Vase und dem Schlüssel in lauter kleinen Einzelbildern, Schnitt für Schnitt, ergibt sich für mich der Film.

Oder Don Luith! Den lispelnden Lord Grey, den das Lachen untedrückenden Miles, den zerstörten Teppich... und so fort.

(...) Kathrin, ich kritisiere mich hier wahrscheinlich um Kopf und Kragen, aber eigentlich habe ich an der Dunnett viel weniger auszusetzen, als ich anfangs befürchtet hatte. Das Königsspiel ist erstaunlich hochwertig für einen populären Historienroman! Ich habe mich wirklich darin festgelesen und bin diesem arroganten Fiesling von Helden fast sofort verfallen (nachdem ich mich durch den Prolog gequält hatte, in dem er furchtbar geschwollen und albern dahersäuselt

Warte es ab, bis die nächsten Originalzitate kommen, Übrigens ist das die so dringend geforderte Sprache des 16ten Jh. Furchtbar geschwollen und albern, ;-))

(...) Obwohl mir also der Held sympathisch ist, glaube ich allerdings nicht, daß ich über den schlechten Stil und die Vernachlässigung der Sprache auf Dauer werde hinwegsehen können.

(...) Tu es, gib ihr die Originale. Das möchte ich dann doch wissen.

(...) Und ganz heimlich gestehe ich es Dir doch noch: wenn Francis Lymond nicht bürgerlicher (langweiliger, durchschaubarer) wird, wird es mich wurmen, wenn ich mit dem Königsspiel durch bin und nicht weiß, wie es mit diesem Mann weitergeht..

Ha!
Und du sagst, es wäre ein erfolgloser Toasterversuch?

(...) Du wirst mir Inhaltsangaben der nächsten Bände schicken müssen (smile).

Auf keinen Fall: Selber lesen macht süchtig.
Vielleicht ist sie ja mit Nicolas besser dran?

(...) Hat sich eigentlich noch kein Filmverleih gefunden, der diese Chronik verfilmen will? Ein bißchen gestrafft scheint mir das die ideale Vorlage für einen richtig schönen Historienschinken zu werden!..."

Göttin! Bewahre!


Ich muß gestehen alles was deine Freundin moniert, Kathrin, macht für mich den ungeheuren Spaß an diesen Büchern aus. Ich hoffe ich hab sie nun nicht geärgert.

Aber für manche ist es eben was, (wobei ich höchst eigensinnig und intolerat nach entp-Hausfrauenart glaube, daß jeder intelligente Mensch daran Spaß haben _muss_! ;-) und manche schaffen es eben nicht in den Club, wie Simon sich ausdrückte.

Bleib weiter dran.
;-))
Gruß Martine




Antworten:



Ihre Antwort

Name:
E-Mail:

Subject:

Text:

Optionale URL:
Link Titel:
Optionale Bild-URL:


[ Antworten ] [ Dunnettie-Forum Archiv 22 ] [ Dunnettie-Forum ]