Re: Nun auch in lang;-)


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Abgeschickt von Celis am 08 April, 2005 um 18:57:37

Antwort auf: Nun auch in lang;-) von Martine am 28 Maerz, 2005 um 20:54:22:

: Hallo Martine, hallo Kathrin,

endlich habe ich etwas Zeit und einen freien Computer.
Martine hat mir aus dem Herzen gesprochen mit ihrer Antwort auf die Kritik an Dunnett, die , wie ich glaube , ganz typisch ist.
Ich habe noch ein paar Gedanken hinzugefügt. (*)

: (...) Die Dunnett (...)scheut sich dabei nicht, gleich auf den ersten Seiten ein halbes Dutzend Charaktere auftreten zu lassen, die auf dem Vorblatt alle als Hauptpersonen betitelt werden.

: Richtig, sind sie auch. Wenn das gesamte Personal dastehen würde, würde man sich durch 20 Seiten lesen.

: Ich kenne ja die Schwierigkeit mancher Leser damit, daß am Anfang so viele Personen eingeführt werden, man kann sich gar nicht alle merken, und so fort. Aber das ist bitte schön ein Buch, in dem es eben viele Personen gibt. Die man sich früher oder später auch merkt. Als Hilfestellung hat man ja immer noch das Verzeichnis. Dafür ist es da.

: Das aber als Manko am Buch zu sehen? Hm, kann ich nicht nachvollziehen.
: Außer man mag Kammerspiele.

*Aber gerade das ist für viele der Neu- Leser das entscheidende Problem. Alle die ich bislang missionieren wollte, konnten sich die Personen nicht merken und hatten auch keine Lust ewig hin und her zu blättern. Die meisten Leser verloren die Geduld bei einem Beginn, der sie auf Umwegen in die Handlung einführt und ihnen obendrein en passant einen Haufen obskurer Figuren vorstellt.
Das Buch "Die Säulen der Erde" hat es bis auf einen der vorderen Plätze in der ZDF Bücherhitparade geschafft. Das ist , was der Leser erwartet. Eine überschaubare Anzahl Personen und einen relativ vorhersehbaren Ablauf.

: Und Lymond hat keinen Bariton. Seine Stimmlage ist, wie alle Helden der Frühen Neuzeit, Countertenor. Also für unsere Männlichkeitsvorstellungen zu hell und zu hoch.
* Das macht Lymond und Niccolo für mich gerade attraktiv, als Fan Alter Musik liebe ich Countertenöre. Tip: Stephen Ricknell oder Michael Chance mit Lautenliedern v. Dowland o.a.hören, Augen zu und sich dabei einen anderen Sänger vorstellen!

: (...) und Rückblenden auf die große, die europäische Geschichte, dazwischenschaltet. Leider gehen diese Hilfen zwischen den vielen Einzelszenen, in denen bis zu vierzig Personen (die Teetafel bei der Baronwitwe im Prolog) gleichzeitig agieren, völlig unter.

* Gottseidank! Es ist nichts bekloppter als wenn der Autor den unbedarften Leser ans Händchen nimmt und ihm die Weltgeschichte erklärt.
Meist geschieht das dann in Gesprächen. Da treffen sich etwa zwei Hausfrauen auf dem Markt und lamentieren darüber, daß das Brot so teuer gworden ist. Sie erklären sich das dann ausführlich mit Ausbruch, und Verlauf des 30-jährigen Krieges und der Gemüsehändler schiebt dann noch schnell ein Kurzreferat über Wallensteins Herkunft , Taktik und sein letztes Horoskop ein.

: Das ist eigentlich schade, denn es ist der Witz, die beiden Dinge gegeneinander zu stellen.


: Das ist einer meiner liebsten Streitpunkte:
er transferiert, nicht nachäfft.

: Das kann ich nur beantwoten, wenn dafür ein Beispiel gegeben wird.
: Ich empfehle immer Alessandras Briefe, wenn mir einer mit solchen Argumenten kommt, daß die Leute anders und über andere Dinge gesprochen hätten. Es gab keien andern Themen als heute, Fußball und den Aktienkurs im IT-Bereich mal ausgenommen;-)9 Die Menschen sprachen über ganz alltägliche Dinge, über Politik, über ihre Hoffnungen und Träume und ob die Katze Junge bekommt.

*...Oder die Briefe von Francesco Datini und seiner Frau in Iris Origos Buch über diesen Kaufmann der Frührenaissance. Jede Menge häuslicher Dramen, damals so aktuell wie heute.

: Es gibt keine Zentralperspektive.
: Und was hier vermißt wird, das ist für mich die Schönheit und die Krönung dieser Bücher: weg mit der auktorialen Erzählperspektive.
* So isses ! Als Dunnettleser braucht man zwei Blickwinkel. Einmal die Aufmerksamkeit für humorvolle, geistreiche und ausdrucksstarke Details und auf der anderen Seite den Blick für das Gesamtbild, denn DD "schreibt" Bilder.
Es ist wie bei den Impressionisten. Steht man zu nah davor, sieht man statt Lichtreflexionen nur weiße Punkte. Aber das Detail sieht man nur aus der Nähe.

: (...) Nicht alle Leser sind brave Klappentextleser! Außerdem wirkt so eine unerklärte Verwirrung am Beginn so, als ob die Autorin selber erst mit ihrer sperrigen Geschichte klarkommen und per Versuch und Irrtum im Prolog rausfinden müßte, an welchem Ende sie nun anfangen soll.

* Den deutschen Klappentext sollte man wirklich auslassen. Der setzt einen auf völlig falsche Dampfer resp. Galeeren.

: Ging euch das beim ersten Lesen so? Mir nicht. Ich hab es sofort gemocht, daß ich mir alles errätseln muß.

*Dito, aber eine Freundin fragte mich nach 50 Seiten Königsspiel,wer denn jetzt der Held wäre, doch nicht der der das Schloß angesteckt hat ?!

: (...) Es fehlt einfach die höhere Perspektive, der Feldherrnhügel für den Leser, den er immer wieder erklimmen dürfen müßte, um den Überblick über das Gewusel zu bekommen – und damit erst richtig Spaß an den kleinen Szenen dazwischen!

*Der Spaß an diesen kleinen Szenen stellt sich ein, nicht weil uns jemand extra darauf hinweist, sondern weil wir sie aufspüren und verbinden mit dem, was wir schon gefunden haben.
Wenn man DD mit anderen Autoren vergleicht, fällt mir ein Bild ein. Geschichte ist für jeden Schriftsteller erstmal wie ein Gewebe. Unendlich viele miteinander verwobene Fäden. Während der eine dieses Gewebe nur als Hintergrund nutzt, um seine eigene "Geschichte" wie einen häßlichen Flicken darauf zu plazieren, nimmt Dunnett jeden Faden einzeln auf, und zieht ihre eigenen Fäden so hinein, daß sie auf den ersten Blick nicht zu erkennen sind.

: Das ist das Konzept eines historischen Romans wie ich ihn verachte. Zutiefst verachte!
: Geschichte als Erzählung mit Anfang, Mitte, Schluß.
: Sorry, Geschichte ist keine Dauerwurst. Sie wird erlebt, nicht von oben her erzählt. Ich hasse historische Romane, die mir eine ganz bestimmte Metaerzählung aufdrängen und ich kotze dabei ab.

*... und Autoren, die in der Art eines Oberlehrers daherkommen und vor staunendem Publikum nach der Reihe ihr historisches Panoptikum aufmarschieren lassen, ohne die Pappkameraden jemals mit Leben füllen zu können.

: (...) Und noch besser – und mit mehr Begeisterung zu lesen – wären diese ihre Szenen, wenn Mrs. Dunnett nicht einfach Satz an Satz reihen und die darin enthaltenen Bilder wie einen Comic hintereinanderkleben würde. Wenn sie sich mehr Mühe gäbe, sie miteinander zu verbinden, würde der Leser nicht mit lauter einzelnen Bildern bombardiert, sondern es würde in seinem Kopf ein Film ablaufen.

: 24 Bilder die Minute machen einen Film.
: Gerade das filmische/szenische Erzählen beherrscht sie wunderbar. Für mich läuft der Film, weil ich szenisch denke. Ich sehe in Queens‘ Play die Tafel an der Thady wie eine nasse Kröte sitzt, sehe das aristokratische Umfeld, sehe die Sache mit der Vase und dem Schlüssel in lauter kleinen Einzelbildern, Schnitt für Schnitt, ergibt sich für mich der Film.

: Oder Don Luith! Den lispelnden Lord Grey, den das Lachen untedrückenden Miles, den zerstörten Teppich... und so fort.

*Aber so ist doch das Leben ! Wir müssen uns doch ständig auf alles unseren eigenen Reim machen.

... manche schaffen es eben nicht in den Club, wie Simon sich ausdrückte.

* Als Schlußwort genial.

: Bleib weiter dran.
* Was bleibt uns übrig ?
: Gruß Celis





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